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Inspiration - Motivation

Auf meiner Reise im Sommer 2000 durch Russland, die Mongolei, China und Nord Korea, war ich schon mal mit der Transsibirischen Eisenbahn unterwegs, auf der Trans-Mongolian Route von Irkutks über Ulan Bator nach Beijing. Diesmal möchte ich das Bahnabenteuer im Winter erleben: Die 9288 km von Moskau nach Wladiwostok, die längste Bahnstrecke der Welt, eine Fahrt durch zwei Kontinente, durch mehr als 400 Bahnhöfe, über 16 grosse Flüsse, durch 7 Zeitzonen ...

Planung

Durch meine Schwärmereien war irgendeinmal das Interesse bei meinem lieben Kollegen "Wolfi" (René) so stark geweckt, dass er sich entschloss, die Reise mit dem Transsib mitzumachen. Wir kamen überein, Zwischenhalte in Jekaterinburg, Novosibirsk und Irkutsk zu machen und am/auf/um den gefrorenen Baikal-See verschiedene Winteraktivitäten zu unternehmen. Zudem wollen wir die drei unterschiedlichen Wagenklassen erleben, "plazkartnyj wagon" (3. Klasse, 54 Betten, keine richtigen Abteile, da zum Gang hin offen), "kupejnyj wagon" (2. Klasse, 4-Bett in einem abschliessbaren Abteil) sowie "spalnyj wagon" (1. Klasse, abschliessbares 2-Bett-Abteil) und: мы изучать русский язык с Натали (wir lernen Russisch bei Natali) ...

Verwirklichung

Reiseberichte 11. Februar bis 4. März 2015

18. Tag; 11. Februar 2015, Moskau, Hauptstadt, Russland

Wir haben uns getroffen. Wolfi ist mit dem Airbus A320 der Aeroflot aus Zürich zwar früher gelandet als ich mit dem Zug angekommen bin, aber ich bin es, der in der Lobby vom Hotel Budapest auf ihn wartet. Die Einreiseformalitäten und der weite Weg vom Flughafen in die Stadt waren der Grund.
Wir haben uns getroffen. Auf dieses Ereignis in der Fremde stossen wir mit zwei uns fremden Bieren, aus Deutschland und Belgien, an. Da deren Geschmack nicht unsere Geschmäcker treffen, lassen wir sie stehen. Zum anschliessenden Essen leisten wir uns ein Glas Wein oder so. Im Hotelzimmer richten wir uns ein, mit der Aussicht können wir leben und mit, resp. in dem nicht gebuchten Doppelbett können wir uns arrangieren. Die von Wolfi definierte Ordnung im Badezimmer regelt klar die getrennte Benutzung der Wäsche. Nach dem Frühstück starten wir unsere Entdeckungstour. Diese führt uns am Bolschoi-Theater vorbei, unter einer achtspurigen Strasse durch, gestern vor dem Nachtessen haben wir diese Unterführung nicht gesehen und deshalb die Strasse überquert..., und schon gelangen wir zum Roten Platz. Nach dem grossen Staunen und den ersten Fotos besichtigen wir zuerst das Lenin Mausoleum, danach kurz die Basilius-Kathedrale. Wolfi sponsort mir eine

Fahrt mit der Doppelstöckigen Reitschule und ich bezahle eine Runde Glühwein.

Dann geht’s zum Kreml. Wir investieren zuerst je 700 Rubel um die Schätze der The Armoury Chamber zu sehen und danach nochmals einige Rubel für The Kremelin Cathedrals.

Ein Bummel durch das Kaufhaus GUM schliesst unseren ersten Besichtigungstag.

 

19. bis 21. Tag; 14. Februar 2015, Jekaterinburg, am Uralgebirge, Russland

Nach einer kleinen Wäsche suchen wir uns eine Haltestelle von Hop-In Hop-Off und machen die erste Tour. Da die Scheiben recht schmutzig sind, machen wir die Fahrt ohne zu fotografieren. Moskau bietet sehr viele architektonisch auffallende und gefallende Gebäude. Nach einem Zwischenspaziergang hängen wir die zweite Tour an, auf der wir auch Moskaus Verkehr kennen lernen, geht doch zeitweise auf den mehrspurigen Strassen nichts mehr.

Wäre allenfalls Autowaschen ein Geschäftsmodell in Moskau?


Nach einem kleinen Imbiss im Kaufhaus GUM steigen wir in den Untergrund und machen uns auf die Jagd nach der schönsten Metro Station. Wir fahren zur Circle Line und mit der eine Runde, die wir immer wieder unterbrechen um auszusteigen um die unterirdischen Kunstwerke zu bestaunen. Kaum fertig fotografiert fährt der nächste Zug ein.

Beim Reservieren zum Nachtessen erklärt uns das Empfangsmädchen im „Il Forno“, sie hätten keinen Wein - das in einem italienischen Restaurant?  Wir werden jedoch auf BYO (bring deinen eigenen) als Alternative aufmerksam gemacht. Im Shop gegenüber kaufen wir uns einen Georgischen Wein.
Als Verdauungsspaziergang gehen wir zum Roten Platz, der bei Nacht eine ganz andere Ausstrahlung hat.


Nach dem Frühstück heisst es Koffer packen und auschecken. Das Gepäck lassen wir vorerst noch im Hotel zurück, da der Besuch vom Gulag Museum auf unserer persönlichen Moskau-Liste noch offen ist. Dass der Zugang im grossen Gucci Gebäude ist, befremdet vorerst, aber der richtige Eingang stimmt dann auf das kommende ein: Wachtturm und Stacheldraht.

Gulag

Zurück im Hotel lassen wir uns ein Taxi kommen und fahren zum Jaroslavler Bahnhof.

Auf Bahnsteig 3 beginnt um 13.50 Uhr unser Transsib Abenteuer. Die 9288 Bahnkilometer haben wir uns wie folgt eingeteilt: Moskau-Jekaterinburg, 1668 Km, im Grossraumliegewagen mit 54 Betten; Jekaterinburg-Novosibirsk, auch 1668 Km, im 4-Bett-Abteil; Novosibirsk-Irkutsk, 1849 Km, im 4-Bett-Abteil und mit 4103 Km die längste Strecke, Irkutsk-Wladiwostok, im 2-Bett-Abteil. Unser 6er-Abteil, 4 und 2 Plätze, getrennt durch den Gang, ist vorerst nur mit einem jungen Russen belegt. Wir nutzen die Gelegenheit vom grosszügigen Platzangebot aus, um zu schreiben. Während René dem Tagebuch seine Gefühle anvertraut beginne ich diesen Bericht zu schreiben. Beim ersten Halt, nach knapp drei Stunden, steigt eine schwer schnaufende, Frau, eine liebenswerte Babuschka, dazu, meine Bettnachbarin. Langsam machen sich im Wagen Essens- und andere Gerüche bemerkbar, die bei 24 Grad Innentemperatur kräftig zum Ausdruck kommen. Im Abteil daneben ist eine junge Familie mit einem ca. 2 ½ jährigen, nicht ganz ruhigen Jungen, so ist es auch akustisch nicht eintönig. Wir leisten uns im Restaurantwagen ein Abendessen. Die Menükarte sieht sehr umfangreich aus, das tatsächliche Angebot ist jedoch drastisch reduziert. Wieso wir im komplett leeren Wagen nicht an den Tisch sitzen dürfen, den wir wollen, verstehen wir nicht, auch das Foto-Verbot nicht. Danach betten wir uns ein und versuchen zu schlafen, was mit Unterbrüchen auch gelingt. Wolfi, im oberen Bett, muss noch mit ein paar Grad mehr auskommen. So gegen zwei Uhr werden wir wieder mal wach. Der Zug hält irgendwo, Leute steigen ein und aus. Drei neue Passagiere treffen sich im 2er Trakt unseres Abteils zum Essen. Diese „frischen“ Düfte mischen die zwischenzeitlich auf 26 Grad angestiegene Luft merklich auf.Alles hat ein Ende, auch diese Nacht. Am Morgen stellen wir fest, dass von der ursprünglichen 25 ½ Stunden Reisezeit, nur noch 6 Stunden übrig bleiben. Das Wetter ist schön und die Natur draussen auch.

Wir beschliessen, beim nächsten Halt nach draussen zu gehen um wiedermal frische Luft zu schnappen. Die schöne, winterliche Stimmung tut gut, aber nicht für lange, denn es ist wirklich kalt.

Und noch kapp 3 Stunden bis Jekaterinburg ...

Wir werden am Bahnhof abgeholt und zum Hotel gefahren. Eine Dusche ist eigentlichlich nur Wasser, aber nach dem erlebten haben wir den Eindruck, sie bewirke Wunder. Danach wollen wir den Hunger stillen, haben wir doch den ganzen Tag noch nichts richtiges gegessen. Wir geniessen ein feines Essen im RatsKeller, mit Live Musik und gefallender Bedienung im freizügigen Oktober-Fest-Look.

 

22. Tag; Sonntag, 15. Februar 2015, Jekaterinburg, Russland

Um zehn Uhr werden wir an der Rezeption von Irina erwartet. Zusammen mit Juri, unserem Fahrer, starten wir unsere Tour. Zuerst besichtigen wir die Blutskapelle, die an dem Ort steht, wo im Juli 1918 der letzte Zar Russlands, Nikolaj II, zusammen mit seiner Familie, ermordet worden ist. Grossen Eindruck machen die Gläubigen, welche die, nachträglich durch die Russisch-Orthodoxe Kirche heiliggesprochene, Zaren-Familie als Märtyrer verehren.

Auf dem gefrorenen Isset-Fluss zieht ein Eis-Fischer unsere Neugier an.


Danach fahren wir zur Stadt hinaus, zu einer Klosteranlage, wo die Zarenfamilie angeblich verbrannt worden ist, welches märchenhaft im winterlichen Wald versteckt liegt.


Als nächstes steht die Europa-Asien-Säule auf dem Programm, welche bei der imaginären Grenze liegt, die der Ural auf natürliche Weise bildet.

Durch das lange Herumstehen und Irinas Erklärungen lauschend, wird uns an Händen und Füssen kalt, wir frieren. Dabei sind wir noch gar nicht in Sibirien, erst im Ural. Ist ja auch nicht verwunderlich, zu Hause laufe ich auch nicht mit Turnschuhen im Schnee herum wie hier; wir müssen unser Kleiderkonzept überarbeiten…

Auf Irinas Empfehlung essen wir am Abend in einem Museums-Restaurant, wo 2010 Dimitrji Medvedev und Angela Merkel ein inoffizielles Treffen hatten. Im Prospekt steht: „In „Demidov“-Saal des Museumskaffeehauses werden Sie das wahre ästhetische Genuss dank Ergötzen an der wunderschönen Meisterwerksammlung von Kunstgussstücken von bekommen. Einen eigenartigen Dunstkreis schaffen hier die Pracht eines Kachelkamins die Hitze sprühen. 3-Pud schwere gusseisernen Sessel mit zweiköpfigen Adlern, Abglanz von Kerzen. Sie werden Geist der Zeit von der mächtigen Mauerung fühlen, die aus Blocken des abgebauten Pulver-Halbbolllwerk der Festungsmauern von Jekaterinburg im Jahre 1725 aufgeschichtet wurde. Und, natürlich, regiert alles die höchste Herrschaft Russische Küche in ihrer bestens Traditionen.“

23. bis 25. Tag; 18. Februar 2015, Novosibirsk, grösste Stadt Sibiriens, Russland

Jekaterinburg, zwischen Check-out um 12 Uhr und Abfahrtzeit um 22.21 Uhr, immer noch in Turnschuhen, aber nun mit zwei Paar Socken. Wolfi zeigt mir freudenstrahlend einen Schal, erzählt mir die Herkunft, und wickelt ihn sich um den Hals. Neidisch denke ich "eine strickende Tochter sollte Mann haben".

Östliche Fahrzeuge

Westliche Firmen

Begegnungen

Zum Abschluss gönnen wir uns ein Abendessen im Restaurant Vertical im 51. Stock.

Unterwegs im Zug Nr. 70, Wagen Nr. 5: In unserem 4er Abteil treffen wir auf Nicolaj und seine Frau, welche sich schon eingerichtet haben. Jeder Schlafplatzreisender erhält einen verschlossenen Plastikbeutel mit einem kleinen Waschtuch, zwei Leintücher und einem Kopfkissenanzug. Unter den kritischen Blicken der beiden, helfen Wolfi und ich einander beim Betten. Das eine Leintuch entpuppt sich diesmal als Hülle, mit der wir die dünne Matratze anziehen und auf das Polster legen und das zweite Leintuch darüber. Nun meldet sich Nikolaj mit einem Redeschwall und Gesten, dem wir entnehmen, dass dies keine Matratze sondern die Bettdecke (aha, darum so dünn) sei. Gelassen antwortet Wolfi ihm: Schwejtsarèts njet cholodnyj (Schweizer nicht kalt).

Irgendeinmal zu dunkler Stunde steigen die beiden aus, natürlich nicht ohne vorher die Bettwäsche zu entfernen. Ein Mann übernimmt den einen Platz, steigt später auch wieder aus. Für wie lange sind wir nun alleine? Während den 25 Stunden haben wir insgesamt sechs verschiedene Mitpassagiere.

Persönliches Ein aufgeschobener, aber bei einer so langen Zugfahrt kaum vermeidbarer, grosser Toilettengang steht an. Bewaffnet mit Feuchttüchern mache ich mich auf den Weg und denke dabei an zu Hause. Den Toilettensitz schütze ich nicht nur mit einem Papierring, sondern stabilisiere ihn seitlich zusätzlich mit Handtuchpapier.

Nach der Nacht mit Unterbrüchen kaufen wir uns einen Beutel mit Pulver, schütten den in ein Glas, geben heisses Wasser aus dem Samovar dazu, und fertig ist der Milchkaffee mit Zucker. Ich liebe dieses Getränk. Den Tag verbringen wir sitzend, stehend und liegend, schwatzend, schreibend, lesend und schlafend. Gegen Abend suchen wir den Restaurantwagen auf und entscheiden uns prompt für ein Essen aus der Menükarte, das es nicht gibt. Also wechseln wir halt zur einzigen angebotenen Alternative. Pünktlich um 22.45 Uhr kommen wir in Novosibirks, der Hauptstadt Sibiriens, an.

Am Morgen schauen wir bei einer Zimmertemperatur von +25 Grad durchs Fenster in den Winter. Das Wetter App zeigt -14 Grad, wegen Böen gefühlte -26 Grad. Wie fühlt sich das an? Wir können uns +26 Grad als angenehmen Sommertag vorstellen, aber mit umgekehrten Vorzeichen? Ich entscheide mich, zum ersten Mal die Schafe zu mobilisieren und ziehe ein Merino-Unterleibchen und lange Merino-Unterhosen an, bleibe aber bei den Turnschuhen mit Doppelsocken. Bei der Zimmertemperatur wird schnell klar, dass wir uns erst unten in der Lobby fertig anziehen und draussen auf die Tourführung warten, die sich als Tatiana vorstellt.

Bei der schmalsten Stelle des mächtigen Ob, welche 800 Meter breit ist, wurde 1887 die Eisenbahnbrücke fertiggestellt.

 

In der grossen Markthalle, wo nebst Kleidern auch Lebensmittel angebotenn werden, können wir verschiedene Dörrfrüchte versuchen und kaufen auch ein paar.

 

Erstes echtes Sibirienfeeling erleben wir auf dem Damm, der den Ob staut. Diesen ersten Test steckt meine Merino-Wolle-Wäsche locker weg.

Nach einer kurzen Fahrt ist dann aber fertig lustig: Das "... Spaziergang durch den Botanischen Garten ..." in unserem Programm habe ich als Copy-Paste-Fehler vom Sommerprogramm abgetan. Dem sei nicht so, meint Tatiana, weiss aber auch nicht, was genau auf uns zukommt. Am Eingang geben wir unsere Jacken ab, immerhin, und dann erklärt uns eine Mitarbeiterin, dass sie hier rund 4500 verschiedene Pflanzen hätten, aus jedem Ecken der Erde, wir aber nur 10 % davon sehen werden. Im ersten Treibhaus, nach erst zwei Metern und geschätzten zehn Pflanzen, wird mir in meinen langen Unterhosen schon unangenehm warm. Nach weiteren zwei Metern bitte ich Tatiana der Führerin zu sagen, dass wir zu warm angezogen seien für diese Dschungeltour. Nach dem zweiten Treibhaus ist die Führung zu Ende und wir sehnen uns wieder nach der Kälte draussen.

 

Gegen 23 Uhr verlassen wir das Restaurant, in dem wir ein feines, russisches Nachtessen genossen haben. Draussen liegt ein nostalgischer Duft in der kalten Luft, ein Geruch aus der Kindheit. Kohle, Kohle von den Kohleheizungen. Und es ist kalt, sehr kalt.

26. bis 28. Tag mittags; 21. Februar 2015, Listvjanka, am Baikalsee, Russland

Heute Morgen kommt mein Motor ins Stottern, habe schlecht geschlafen, hatte Bauchkrämpfe während der Nacht und musste ein paar Mal raus. In Gedanken scanne ich das gegessene und vergleiche mit Renés Nahrungsaufnahme. Habe am Abend die Dörrfrüchte fertig gegessen, waren sie es? Wolfi hat keine Beschwerden, im Gegenteil, macht er doch auf starken Mann. Seit gestern Abend ist sein Bart wieder ab, will wohl die Kälte eins zu eins auf der Haut spüren, nicht wie ich, versteckt hinter meinem Bart. Ich verzichte aufs Frühstück und lasse René alleine gehen. Die Weiterreise ist datumsmässig speziell: Den Transfer zum Bahnhof haben wir heute um 23.30 Uhr, die Abfahrt des Zuges ist morgen um 00.23 Uhr und die Ankunft in Irkutsk übermorgen um 07.28 Uhr.

Zwischen dem auschecken am Mittag und der Ankunft in Irkutsk können wir 11 Stunden Zeit tod..., Wolfi korrigiert mich und sagt, Zeit kann man nicht todschlagen, sie bleibt, also noch 11 Stunden in Novosibirks erleben und danach 30 Stunden Eisenbahnfahrt. Die Zeit verbringen ist diesmal, bei zwar blauem Himmel und Sonnenschein, aber -22 Grad, nicht ganz einfach. Spätestens nach einer Stunde halten wir es draussen nicht mehr aus und suchen etwas zum Aufwärmen. Es sind immer die Finger die, trotz Seidenhandschuhen in den dicken Handschuhen, als erste nach Wärme verlangen.

Die finden wir auch im Bahnhof, wo wir uns eine Zeitlang im Wartesaal hinsetzen und dabei das Geschehen um uns herum beobachten. Im Eisenbahnmuseum wie auch im rührigen CCCP (UdSSR) Museum, es vermittelt in zwei Zimmern, mit einer grossen, wirren Ansammlung von Requisiten, einen Einblick in das Leben zur Sowjetzeit, können wir uns aufwärmen und, die Zeit vergeht. Wir kommen an einem Kino vorbei, machen die Rechnung „Jetzt + 2 Stunden = Zeit zum Nachtessen = danach Zeit für den Transfer“, kaufen uns Tickets (ca. 3 Franken) und schauen uns den Film an, für den ich auf meiner Anreise in einigen Ländern Werbung gesehen habe, Kingsmen. Die Dialoge verstehen wir nicht, die Waffengeräusche jedoch schon und die Story mehr oder weniger auch. Da es in Novosibirsk wirklich nicht viel zu fotografieren gibt, starte ich das Projekt "Pelz Jagd". Wenn uns die schönsten Pelze, in den verschiedensten Farben, strahlend im Sonnenlicht entgegenkommen, ist meine Kamera wegen der Kälte in der Tasche; ein paar konnte ich aber doch einfangen.

Mehrheitlich sehen wir japanische Autos. Die rechtsgesteuerten Occasionen aus Japan sind billiger (Russland hat Rechtsverkehr), die Occasionen aus den USA mit fixer Meilen- und Fahrenheit-Anzeigen auch (Russland kennt Kilometer und Grad). Es gibt natürlich auch neue Autos, deutsche Luxuswagen und russische Automarken. Dazu die Werbung einer Autowerkstätte: „Haben Sie ein deutsches Auto, dann haben Sie kein Problem. Haben Sie ein japanisches Auto, dann lösen wir das Problem. Haben Sie ein russisches Auto, dann ist das Ihr Problem.“

René und ich stellen fest, dass wir seit Jahrzenten keinen solchen kalten Tag erlebt haben. Klar hätten wir noch unsere bessere Winterausrüstung anziehen können, aber die heben wir uns für die Hundeschlittentour am Baikalsee auf.

Auf dem ganzen russischen Eisenbahnnetz, sowohl an den Bahnhöfen, in den Zügen und auf den Tickets, gilt die Moskauer Zeit. Im Bahnhof in Novosibirsk sieht das so aus: Oben links steht die lokale Zeit, welche gegenüber der Zeit in Moskau, oben rechts, 3 Stunden voraus ist. Wir fahren nach Irkutsk mit Zug Nr. 4, gemäss Anzeige Moskau-Peking, welcher um 21.04 Uhr (=00.04 Uhr), also in 19 Minuten, einfahren und um 21.23 Uhr (=00.23 Uhr) abfahren sollte. René hat seine Armbanduhr auf Moskauer Zeit belassen, während wir unsere mobilen Telefone jeweils auf lokale Zeit umstellen.

Beginnend mit einer halben Nacht, dann ein ganzer Tag und nochmals eine Nacht, 30 Stunden im Zug, ohne umzusteigen, wo kann das sonst erlebt werden? Nach der russischen Lok besteht unser Zug aus chinesischen Schlafwagen, gefolgt von einem russischen Speisewagen und unserem russischen Schlafwagen. Im Speisewagen treffen wir auf die ersten westlichen Touristen: einem Iren, der (Irre) fährt die Strecke Moskau-Peking tatsächlich Non-Stop durch, und einem Schweden, der vorerst bis Ulaan Batar reist. Nach der Ankunft in Irkutsk werden wir vom Fahrer Vladimir und Luydmila, der Führerin, abgeholt. Auf dem Weg nach Lystvjanka besuchen wir zuerst ein Freilichtmuseum (das Haus ist antik, die Toilette neu), danach das Baikal Museum,

welches über die Geschichte der Gegend und des Baikalsee informiert, bevor wir im Hotel einchecken.

 

28. Tag, nachmittags; 21. Februar 2015, am und auf dem Baikalsee

Nach dem Einchecken zieht es uns zum See. Wir sind begeistert von dem was wir sehen, die bizarre Welt der Kälte lässt uns staunen, ich finde keine Worte, bin sprachlos, was doch etwas heissen will ...

 

29. und 30. Tag; 23. Februar 2015, Schlittenhunde Tour am Baikalsee

Heute packen wir nur das Nötigste in die Rucksäcke, wobei das relativ ist, denn im Nachhinein wars immer noch zuviel. In Sachen Winterbekleidung ziehen wir alle Register: Die extra gekauften Winterschuhe, das Verkaufsargument "bis -54°" überzeugte, tragen wir seit den ersten Stunden am Baikalsee, unter den Mützen zusätzlich Sturmhauben, sowie Doppelsocken und Doppelhandschuhe. Wolfi wie auch ich waren noch nie mit Schlittenhunden unterwegs, deshalb spürt die Hälfte der Gruppe, die Bärtigen, eine gewisse Anspannung vor dem Unbekannten, während die andere Hälfte es locker nimmt, oder mindestens so tut. Viel zu früh werden wir abgeholt und zur Hundefarm gebracht. Dort wird uns Tee und (Hunde- ?) Bisquites angeboten und wir müssen warten. Endlich sind zwei Schlitten und 17 Hunde für uns bereit, das Gepäck ist auf dem Snowmobil festgezurrt, eine kurze Instruktion erfolgt und, durch das blöde Herumstehen, frieren wir beide schon. Aber dann dürfen wir endlich hinter dem Schlitten auf die Bremse stehen. Ich erhalte das Kommando "no break", wechsle die Füsse auf die beiden Kufen und schon ertönt "Pashli! Pashli!" (Vorwärts!). Ein Ruck geht durch mein Gespann und ich zum ersten Mal als Musher in Action, während der richtige Musher vorne auf meinem Schlitten sitzt. Zügig verlassen wir die Hundefarm und tauchen ein in den verschneiten Birkenwald. Die Hunde werden mit "na lewa" oder "na prawa" in die richtige Richtung gewiesen während ich zu Beginn noch "Left! Left!" oder "Right! Right!" zu hören bekomme, wenn ich den Schlitten in die eine oder andere Richtung drücken soll. Später sind die Kommandos nur noch in Russisch und ich weiss oft nicht, ob sie nun den Hunden oder mir gelten. Bei schwierigen Passagen, aufwärts oder abwärts, übernimmt der Musher den Schlitten und ich sitze vorne oder laufe. Schon vor dem ersten Halt habe ich, wohl von dem verkrampften Halten am Schlitten, kalte Hände und, das kann doch nicht sein, auch kalte Füsse! Haben wir schon mehr als minus 54 Grad? Als ich meinem Begleiter meine dünnen Merino-Fingerhandschuhe zeige, die ich unter den Skihandschuhen trage, lächelt er und lässt mich ganz kurz seine Pelzgefütterten Fausthandschuhe anprobieren; tauschen will er aber nicht. Er trägt Schuhe und Gamaschen. Nach einem langen Aufstieg, den wir zu Fuss und auf dem Snowmobil sitzend überwinden, folgt eine recht abschüssige Abfahrt. Beim runterbrettern denke ich sorgenvoll, was ich machen soll, sollte der Musher vom holpernden und springenden Schlitten runterfallen und die Hunde mit mir zusammen einfach weiter den Weg hintuner rasen. Nichts dergleichen passiert und wir kommen im Nachtquartier an. Einfaches Hüttenleben ist angesagt, ohne Strom und Wasser, unsere Stirnlampen kommen zum ersten Einsatz.

Wir gehen in das Haupthaus, welches mit einem Generator mit Strom versorgt wird. Eine Gruppe essender und allerhand trinkender Russen bieten uns Wodka und Bier an. Den Wodka lehnen wir ab, das Bier nehmen wir an. Kaum trinken wir den den ersten Schluck werden wir informiert, dass die "Banja" für uns bereit sei. Wir lassen die Flaschen stehen und gehen nach draussen zu einer anderen Hütte und machen zwei Saunagänge. Das Abkühlen im Schnee gönnen wir nur unseren Füssen und Händen, die restlichen Körperteile dürfen nicht mitmachen. Zurück beim Bier ist das Nachtessen bereit: Eine Hühner-Gemüse-Kartoffelsuppe mit Tee, eine Tafel dunkle Schokolade und Guetzli. Nach der Warnung, es werde gegen Morgen sehr kalt werden, füttert René den Ofen in unserem Häuschen mit so viel Holz, dass wir danach die Türe öffnen müssen, um den Raum wieder runterzukühlen. Er übergibt mir dann die Verwantwortung über das Feuer, da ich sowieso auf müsse. Das nehme ich so zu Herzen, dass ich kaum schlafen kann, weil ich dauernd an das "darf ja nicht ausgehende Feuer" denke und den Ofen immer wieder mit Nachschub versorge.

Den Weg nach draussen, nach vorherigem Kleider- und Schuhe-Anziehen, nehme ich zweimal auf mich, wobei ich nicht die offizielle Stätte aufsuche (oben links), sondern die Freiluftvariante hinter dem Haus. Am Morgen beachten wir das Badezimmer (oben rechts) nicht, sondern begnügen uns mit einer Katzenwäsche. Zum Frühstück erhalten wir, nebst Kaffee, Brot, Butter, Käse, Blini, Porridge, sowie nochmals eine Tafel Schokolade und Guetzli. Auch die Hunde, die draussen auf Stroh übernachtet haben, erhalten ihr Futter.

Danach sind wir bereit für die Rückfahrt, die nun am Ufer entlang über den Schnee- und Eisbedeckten Baikalsee führt.

Blauer Himmel, die Sonne scheint, es ist herrlich! Es sieht nicht nur fantastisch aus, sondern es macht Freude und Spass, trotz der Kälte. Das Gleiten über die zum Teil spiegelglatten, durchsichtigen schwarzen Eisflächen, fühlt sich speziell an. Dort wo der Druck auf das Eis Eisbrocken auftürmen lässt, gibt es Schläge gegen den Schlitten, weil der nicht so schnell zu steuern ist, wie die Hunde um die Hindernisse herumrennen. Gegen Schluss übernehmen wieder die Musher die Schlitten und wir fahren via Fluss ins Dorf hinein, um die Häuser herum und zurück zur Hunde Farm. Es war ein einmaliges, unvergessliches Erlebnis!

 

31. bis 33. Tag nachmittags; 26. Februar 2015, Irkutsk, Russland

Letzter Tag am Baikalsee. Mein Vater schreibt per SMS: „Mit Turnschuhen im Schnee! Das gibt es ja nicht einmal in der CH! Aber Ueli!!!“. Mmmhh, mag ja sein, aber einerseits sind es nicht wirklich Turnschuhe, sondern Outdoor Schuhe, mit denen ich es gewohnt bin, durch die halbe Welt zu gehen, und andererseits laufen wir beide, seit der Ankunft am Baikalsee, mit dem gleichen Modell richtiger Winterschuhe herum. Bisch itz zfriede, Vätu?

Ich wollte mich durch das zu frühe Anziehen nicht verwöhnen. Für zusätzliche Schuhe, gefütterte wie Wolfi sie hat, habe ich aus logistischen Gründen verzichten müssen, denn in meiner Tasche sind noch Wanderschuhe und Sandalen.

Heute haben wir einen Ruhetag, den wir ruhig angehen. Beim Spaziergang durch das Dorf entdecken wir ein skurriles Museum, oder Schrottplatz wie Wolfi bemerkt. Der Eintritt kostet 50 Rubel (70 Rappen).

Natürlich gehen wir nochmals aufs Eis. Diese durch die Kälte geformte Welt lässt uns nicht so schnell wieder los. Diesmal gehen wir’s auch mutiger an, haben wir doch, durch die erhaltenen Informationen im Camp am Vorabend, Vertrauen in die Dicke des Eises bekommen. Trotzdem, das eigenartige Gefühl das ich empfinde, verschwindet erst wirklich, zurück am Ufer.

Zurück nach Irkutsk. Nach dem letzten Frühstück im Hotel Baikal Terema, verabschieden wir uns von Axana, die eigentlich in der Administration arbeitet, aber wegen Personalproblemen auch den Service im Restaurant und heute sogar die Zubereitung des Frühstücks übernommen hat. Pünktlich kommt unser Fahrer Vladimir, um uns nach Irkutsk zu bringen. Beim Ortsausgang machen wir einen Halt und gehen zum Ufer runter. Dort wo der Baikalsee sich in den Fluss Angara wandelt, wo das Eis wieder zu Wasser wird, kommt uns, umgeben von Nebelschwaden und wie aus der schwarzen Tiefe aufsteigend, ein Ungetüm entgegen.

Ein Lieferwagen fährt auf die Fähre, die Matrosin ruft Wolfi etwas zu und was macht er? Mir stockt der Atem. Er steigt auf die rutschige Mauer, packt wie ein erfahrener Seemann das Tau, löst es vom Poller und wirft es der dankbar lächelnden Matrosin zu. Bravo Wolfi, gut gemacht! In Irkutsk ist unser Zimmer im Hotel Victory bereit. Wir deponieren nur unser Gepäck und kehren zurück auf die Strasse. Ausgerüstet mit einem groben Stadtplan gehen wir über die Karl Marx Strasse, vorbei an der Lenin Statue, zum Ufer des Angara, der, wegen der Strömung, nur zur Hälfte mit Eis bedeckt ist. Danach benützen wir die Brücke im Hintergrund und suchen den Bahnhof auf.

Wir haben genügend Zeit weshalb wir entscheiden, zurück die weiter entferntere Brücke Flussaufwärts zu benutzen. Auf unserem Stadtplan ist die Brücke nicht mehr eingezeichnet, Strassen oder Wege zu ihr natürlich auch nicht. Aber wo ein Wille, ist auch ein Weg. Zuerst geht’s auf einem verschneiten Weg parallel zum Bahngeleise, dann biegt der Weg rechts ab, vom Fluss weg. Wir kommen bei Holzhäusern vorbei, bei allen ist aus den Innenhöfen Hundegebelle zu hören ist. Zum Glück sind überall die Zaun Tore geschlossen. Überall? Leider nicht. Da ich nicht bellen kann, brülle ich „Shaga shaga“ zurück. Keine Ahnung aus welcher Sprache das ist, aber es nützt. Bei nächster Gelegenheit besorge ich mir einen Stecken, aber es kommen glücklicherweise keine Hunde mehr. Nach einer gefühlten Ewigkeit können wir endlich wieder abbiegen und Richtung der nicht mehr sichtbaren Brücke gehen. Da, endlich, wir sehen die Brücke wieder. Leider ging bei unseren Orientierungsüberlegungen vergessen, dass die Bahngeleise dazwischen sind. Wir folgen einer Strasse, die irgendeinmal endet, danach folgen wir einem kleinen Fussweg, der irgendeinmal endet, danach stapfen wir in Fussspuren im Schnee, die ... uns zu einer Treppe führen und wir die Bahn überqueren können. Das Ziel, die Brücke, vor Augen realisieren wir, dass dies eine Art Autobahnbrücke ist, denn wir finden keinen Zugang für Fussgänger. Wo ein Wille, ist manchmal doch kein Weg; wir geben auf und bitten bei einer Tankstelle, uns ein Taxi zu rufen und fahren damit zum Hotel zurück.


Am Abend essen wir im Ausgangsviertel „130“, auch gesundes Gemüse, auch Zwiebeln. Quizfrage: Wir, er oder ich?

Viel zu früh am Vormittag haben wir eine Verabredung: eine 2 ½ stündige Walking Tour mit Luydmila. Diese Frau ist eine stolze, gläubige Russin, war nie Kommunistin, und vermittelt uns eine andere Ansicht über die Zeit seit der Wende und über die aktuelle politische Führung, als wir sie im Westen haben. Sie hat ein enormes Wissen, welches sich förmlich aufdrängt, übermittelt zu werden. Müsste Luydmila nicht Luft holen, und sie tut dies nur sehr kurz, würde sie tatsächlich ununterbrochen reden. Wenn ich gehörtes kurz einordnen oder darüber nachdenken will, verliere ich sofort den Anschluss und René muss alleine zuhören, oder auch nicht. Eine Frage zu stellen geht nur bei harscher Unterbrechung. Nach der Tour geniessen wir vorerst mal die Stille. Wir sehen ein Denkmal für die Kosaken, die Krieger, Söldner und Eroberer Sibiriens. Bei der Gedenkstätte mit der ewigen Flamme, für die 30 Millionen russischer Opfer des Zweiten Weltkrieges, treffen wir ein Gruppe Erstklässler. Sie lernen, dies nicht zu vergessen.

Wir haben noch Zeit, weshalb wir den zum Museum umfunktionierten Eisbrecher Angara besuchen wollen. Aus der gestrigen Erfahrung lernend, dass Nahes Weit sein kann, bestellen wir ein Taxi und fahren damit zum Staudamm hinaus, was sich als weise Entscheidung herausstellt. Der Eisbrecher, Baujahr 1900, ist nicht nur wegen seinem Alter in einem schlechten Zustand. Inventar ist keines mehr vorhanden und unten im Maschinenraum riecht es nach Urin. Viele Räume sind verschlossen und Gerümpel liegt herum. Schade. Aber den Gegenwert von 70 Rappen Eintrittspreis sehen wir.

 

33. Tag abends, bis 36. Tag; 1. März 2015, Wladiwostok, am Japanischen Meer, Russland

Im Zug. Wir richten uns im 2er-Abteil ein, da kommt eine Frau und spricht Russisch auf uns ein. Ausser das sie Nadja heisst und vom Restaurantwagen kommt, verstehen wir nur Bahnhof, wo wir auch tatsächlich immer noch sind. Mit Hilfe der Zugschaffnerin Tatyana, die tschut tschut (wenig wenig) englisch spricht, unserem tschut tschut russisch, sowie mit Gesten und Notizen, verstehen wir, dass in unseren 1. Klasse-Billet ein Essen inbegriffen ist. Wir sollen nun sagen, wann wir was essen möchten. Wir entscheiden uns für Kuriza c Kartoschka zum Nachtessen, morgen Abend um 13.00 Uhr …???… ja genau, Moskauer Zeit, Huhn mit Kartoffeln, und wohl mit einer butylka wino krasnje. Vor uns liegt die letzte und längste Etappe unserer Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn, von Irkutsk nach Wladiwostok, 4103 Km.

Die Abfahrt ist am 26. Februar 2015 um 16.20 Uhr (lokal 21.20 Uhr) und Ankunft am 1. März 2015 um 13.10 Uhr (lokal 20.10 Uhr, +2 h Zeitverschiebung). Wir werden also 68 Stunden und 50 Minuten im Zug verbringen, das sind gefühlte drei Nächte und drei Tage, den grössten Teil davon in unserem Abteil von 3,8 m2. Es lässt uns erahnen, erfühlen und erleben, wie gross Russland ist, das flächenmässig grösste Land der Erde.
Soeben war Tatyana bei uns und informierte, dass wir in 30 Minuten in Ćita eintreffen werden. Der Zug wird 25 Minuten Aufenthalt haben. Gelegenheit, um draussen die Füsse zu vertreten und Aussenluft, gemäss Renés „Wissen am Freitag“ (unsere tägliche Wissenstransfersendung „Wissen am …), gibt es in einer Stadt keine Frischluft, zu schnuppern und abzukühlen. Also raus aus T-Shirt und Trainerhosen und rein in die warmen Socken, Hosen, Jacken und Schuhe. Tatyana muss "von Amtes wegen" mit nach draussen.

Persönliches Ich gebe es zu, ich habe sie bisher belächelt, aber jetzt fehlen sie in meinem Gepäck, sie wären bequemer als meine normalen, die bei meinem Schuhwerk unangenehm einengen, die Socken mit separater grosser Zehe…

Während dem Essen im Speisewagen, setzt sich ein Mann mit drei Bieren an den Nebentisch und beginnt, in einem holprigen Englisch, mit uns zu reden. Maxim ist Russe und in der Armee, hat zurzeit Urlaub, und bereist Russland. Er ist leidenschaftlicher Jäger, besitzt zwei Gewehre, die er uns auf seinem iPad zeigt, und ein grosses amerikanisches Klappmesser, das er aus der Hosentasche nimmt und uns in die Hände drückt. Er ist interessiert an uns und Westeuropa und stellt viele Fragen. Seine Neugier nach unseren Meinungen zu Ukraine und Charlie Hebdo umgehen wir mit dem Hinweis, dass wir zu Politik und Religion nicht Stellung nehmen wollen. Er fordert uns auf, an seinen Tisch zu wechseln und will uns eine Flasche Rotwein offerieren, die wir aber ablehnen. Dafür sagen wir ja zu einem Bier, worauf Nadja sechs ½ Liter Dosen bringt. Wir machen sie auf den vermeintlichen Fehler aufmerksam und wollen ihr zwei Dosen zurückgeben. Damit ist Maxim aber gar nicht einverstanden und nimmt die zwei Dosen und stellt sie zu seinen beiden. Irgendeinmal kommt ein weiterer Mann an den Tisch, begrüsst uns auf Russisch, reicht uns die Hand und stellt sich vor; sein Name ist für unsere Ohren zu exotisch und entgleitet uns sofort wieder. Sein nur wenige Worte umfassendes Englisch wird mit Unterstützung von Maxims holprigem Englisch doch noch zu verstehenden Worten. Er ist auch in der Armee, zurück vom Urlaub auf dem Weg zum Pazifik, leistet Dienst auf einer Fregatte mit 130 Mann Besatzung, zu deren Aufgabe es gehört, U-Boote zu jagen. Von der Nation her ist er Russe wie Maxim, im Herzen jedoch ein stolzer Burjate, eine Volksgruppe mit mongolischen Wurzeln bis ins 11. Jahrhundert (Ulan-Ude ist die Hauptstadt der Republik Burjatien). Die Unterhaltung ist eine Abwechslung, aber sehr anstrengend.

In der zweiten Nacht wird mir so richtig bewusst, dass der Zug fährt und fährt und fährt. Die Melodie der Transsib, das immerwährende monotone Geräusch, wenn die Räder über die Lücken zwischen den Schienensträngen fahren, dessen Rhythmus sich nur ändert mit der Veränderung der Geschwindigkeit, dessen Intensität sich ändert wenn wir über eine Brücke fahren, verstummt nur, wenn der Zug hält. Das Frühstück, das leckere Kaffee-Milch-Zucker-Pulver-Getränk von Tatyana und russische Biskuits, ist nicht so nachhaltig, deshalb bereiten wir uns, von Renés Koch-Club-Erfahrungen profitierend, ein leichtes Mittagessen zu.

Wie verbringen wir die Zeit, die uns während dieser langen Zugreise zur Verfügung steht? Todschlagen, wie früher mal erklärt, geht ja nicht. Kaffee bestellen und ins Abteil serviert bekommen, geht hingegen in der 1. Klasse, und erst noch auf Rechnung. Soeben erhalten wir wieder zwei von den süchtig machenden Kaffee-Milch-Zucker-Pulver-Getränken. Danke Tatyana. Aus dem Fenster schauen und über die Veränderungen diskutieren: Birken mit wenig Schnee, Birken mit viel Schnee, Birken gemischt mit Nadelbäumen, schneebedeckte Ebenen, kleine Hügelzüge mit und ohne Schnee. Kleine Dörfer. Grosse Städte. Bahnhöfe. Aufregende Abwechslungen sind Brücken und kreuzende Züge, bei denen die Wagons gezählt werden wollen. 73 Güterwagen waren das Höchste der Gefühle. Es hat extrem wenig Mitreisende in der 1. Klasse. Wir stellen auch mal einen Wecker um die Überquerung des breiten Flusses Amur nicht zu verpassen. Geistige Nahrung findet Wolfi darin, während den Halten die russischen Ortsnamen von den Bahnhofsgebäuden zu lesen und übersetzen, um dann in seiner Transsib-Bibel den Kilometerstand zu finden: BБИКИН = Bikin = Kilometer 8756 ab Moskau = 532 verbleibende Km bis Wladiwostok. Gesprächsstoff bieten auch immer wieder die verschiedenen Zeitzonen, ausgehend von Wolfis Moskauer-Armbanduhr-Zeit, über die Zeit am Einstiegsort Irkutsk bis zur Zeit am Ankunftsort Wladiwostok. Da wir uns nicht einig werden, welche Zeitzone für die Nahrungsaufnahme zuständig sein soll, essen wir halt wenn wir Hunger haben! Frühstück und Mittagessen gibts zu Hause, Abendessen auswärts. Lesen und liegen. Im Gang stehen. Tagebuch nachführen und Berichte schreiben. Es gibt immer etwas zu tun. Irgendeinmal ist Apéro Zeit und ein Gang zum Restaurantwagen steht an. Das Erlebte beim Gang zur Toilette wird auch immer detailliert ausgetauscht.


Übrigens: An den "Request" haben wir uns zwar gehalten, aber nicht wirklich gewöhnt. Die Alternative zum Toilettenpapier-Runterspülen, der Behälter links vom Thron, wird nicht nach jeder Benutzung geleert, deshalb kommt die Luft auch nicht sibirienfrisch in die Nase.

Nur noch zwei Stunden bis Wladiwostok; die Fahrt ist, grosszügig gesehen, damit zu Ende. Wir bestellen bei Tatyana die letzten zwei Kaffee-Milch-Zucker-Pulver-Getränke und die Rechnung, die wir, ohne zu kontrollieren, begleichen. René geht beim angekündigten Halt in Ussurijsk raus, 111 Km vor Wladiwostok, um die Temperaturen zu fühlen und danach die Garderobe bestimmen zu können. Er kommt erfreut zurück und verkündet, "di lange Schlüüch" in die Tasche zu verbannen.

37. bis 38. Tag; 3. März 2015, Wladiwostok, Russland

Heute sind die Hauptakteure, neben uns beiden natürlich: Wladiwostok, die Stadt. Wostok heisst Osten, Wladi kommt von beherrschen; Beherrsche den Osten. Die Stadt gefällt uns sofort, sie liegt auf Hügeln gebetet, die sich um zwei Meeresbuchten, die Zolotoy Rog Bay (eisfrei) und die Amurskiy Bay (eisbedeckt), schmiegen, sowie einigen Inseln. Hier wurde 1891 vom Zarensohn Nikolaj der Spatenstich zum Bau der Transsibirischen Eisenbahn gemacht. Früher war Wladiwostok eine geschlossene Stadt, auch Russen brauchten eine Sondergenehmigung um sie zu besuchen. Natascha, die Studentin. Sie gefällt uns auch. Der Vater ist Seemann auf einem Griechischen Schiff und nur rund drei Monate zu Hause, weshalb sie den Hyundai ihres Vaters fährt. Die Mutter verdient 30‘000 Rubel im Monat (rund 500 Franken). Natascha, 21 jährig, hat am Donnerstag Geburtstag, ist unsere Stadtführerin. Sie will nach dem Deutschstudium ein Dolmetscherstudium in Deutschland machen. Mehr wissen wir nicht über sie, ausser dass sie keinen Freund hat, aber dazu später, und ihre Mobile Nummer, aber auch dazu später.
Zuerst geht’s zu Fuss zum Bahnhof, wo wir, als echte Transsib-Anhänger, zum Obelisk pilgern, der Kilometer 9288 markiert. In Gedanken gehen wir nochmals Kilometer für Kilometer seit Moskau durch, was uns aber nicht mehr vollständig gelingt. Neben dem Pfeiler steht eine Dampflok, die, basierend auf der guten Zusammenarbeit während dem zweiten Weltkrieg, im Juni 1942 von den USA in die UdSSR gebracht worden ist. Direkt hinter dem Bahnhof liegt das Hafengebäude. Nicht nur Zürich hat, Wolfi, ich weiss, hatte, einen Hafenkran, diese beiden hier werden aber noch echt genutzt.

Ob auf dem Kriegsschiff „unser Burjate“ vom Zug Dienst leistet? Da wir seinen Namen nicht kennen, verzichten wir auf einen Besuchsversuch. Die Brücke, die zwei Stadtteile verbindet, wurde anlässlich des APEC Gipfeltreffens von 2012 erbaut. Da wir während der Überfahrt nicht anhalten dürfen, wollen wir morgen zur Brücke zurückkehren.

Wir fahren über eine zweite Brücke, deren Seile in den Farben Russlands, weiss, blau, rot, Patrioten sei Dank, angestrichen sind, auf die Insel Russky, wo eine Universität und ein Campus für 15‘000 Studenten errichtet worden ist. Von dort aus sehen wir auch das Japanische Meer.
Parkieren in der zweiten Reihe? Kein Problem, wie Natascha erklärt, hinter der Scheibe liegt ihre Handynummer. Ein Anruf, und sie geht zum Auto und befreit den Eingeklemmten.

Noch keine Arbeit für den Bademeister. Ab Juli ist dies ein beliebter Badestrand, an dem wir entlang flanieren.

Spontan verabschiedet sich Natascha bei uns mit einer Umarmung und einem Küsschen und erklärt, dass wir als Schweizer für sie eine schöne Abwechslung waren. Sie hat den Unterschied zu den sonst für sie üblichen Deutschen bemerkt. Da sie keinen Freund habe, sei das Küsschen kein Problem. Für uns auch nicht.

Am nächsten Morgen stellen wir beim Aufstehen enttäuscht fest, dass der Himmel grau ist. Da auf unserem nicht vorhandenen „To-do-Zettel“ sechs Punkte stehen, packen wir den Tag trotzdem unternehmenslustig, und wärmer bekleidet als gestern, an. In Wladiwostok steht das erste U-Boot der damaligen Sowjetunion, Baujahr 1935.

Danach suchen wir uns den Weg, um auf die hohe Brücke zu kommen.

Als letzte Aufgabe steht der Kauf einer Sport-Tasche an, da René, wie schon zu Hause geplant und abgemacht, meine Wintersachen mit in die Schweiz zurück nimmt (danke Wolfi).
Die Schreiberei wird danach auf vielseitigen Wunsch eingestellt, weil sich nun alle für unsere persönliche Abschiedsfeier, es ist der letzte gemeinsame Abend unserer Reise, bereit machen. Um nicht ganz unvorbereitet zu sein, haben wir bereits gestern Abend vorsorglicherweise in zwei Bars ein bisschen geübt. Wohlbemerkt, seriös, und volumenmässig vertretbar. Da wir am Vorabend in einem von Natascha empfohlenen Restaurant wirklich lecker gegessen haben und auch der Service, von Iwan, dem Ukrainer aus Donezk, stimmte, entscheiden wir, wieder dort zu essen. Ein spezielles Candle Light Dinner.


39. Tag; 4. März 2015, Mehrheitlich in der Luft

Letzter Tag der Transsib-Etappe.

Nach der längsten Bahnreise der Welt im grössten Land der Welt, steht uns heute ein weiterer Superlativ bevor: der längste Inlandflug der Welt. Um es vorweg zu nehmen, ob neun Stunden über ein Land zu fliegen oder über mehrere Länder, fühlt sich gleich an, die Stunden vergehen gleich zähflüssig, der Schlaf gleich oberflächlich. Bevor es aber soweit ist, müssen wir uns noch flexibel zeigen. Irina, „Head of inbound department“ vom Reiseorganisator in Wladiwostok, hat uns am Vorabend angerufen und informiert, dass wegen bevorstehendem Schneefall der Transfer zum Flughafen früher und allenfalls mit dem Zug gemacht werden müsste. Und tatsächlich, am Morgen liegt Neuschnee auf den Strassen und es schneit immer noch. Wir treffen die aufgestellte Irina in der Hotelhalle und fahren mit ihr zum nah gelegenen Bahnhof wo sie uns Tickets für den Flughafen-„Express“ überreicht. Da dieser auch als Vorortszug dient und bei vielen Bahnhöfen anhält, dauert die Fahrt zum Flughafen eine Stunde.

Wir hoffen, dass der Pilot mit der Sichtweite klar kommt und machen es uns auf den Sesseln 2A und 2C bequem. Mit einem Cüpli vor dem Start stossen Wolfi und ich auf das gemeinsam Erlebte an.

Nach der Landung in Moskau stehen wir bei der Passkontrolle an, René vor mir. Bevor ich an der Reihe bin, wechselt der Schalter von Grün auf Rot und Rollläden verschliessen den Eingang. Ich schaue mich um und sehe nur Schalter für Russische Bürger und Diplomaten. Eine Zollbeamtin weist russisch sprechend auf diese hin. Wenn schon, denn schon, denke ich und entscheide mich für den Diplomatenausgang. Auf der anderen Seite, also faktisch schon im Ausland, schaut Wolfi sich suchend nach mir um. Damit verlassen wir das Land von Aeroflot und der Russischen Eisenbahn. Wolfi aufgepasst, hier kommt die Erklärung zum stilisierten Logo: RZD, Rossijskije schelesnyje dorogi. Endlich wagen wir, die Hotelregistrierungspapiere wegzuwerfen, welche wir von jedem Hotel erhalten haben. Niemand konnte uns zwar sagen wozu diese gut sein sollen, aber ausgestellt werden mussten sie. Ich will noch meine restlichen Russischen Rubel gegen Kirgistan Som wechseln. Beim Erhalt der Som sind auch Russische Rubel dabei. Nach dem Fragezeichen auf meiner Stirn zeigt mir die Dame hinter dem Schalter das leere KGS Plastiksäcken.

Ein letzter Drink in der Lounge und es heisst Abschied nehmen. Es war eine sehr angenehme Zeit mit dir. Wir hatten viel Spass, offene, ehrliche Diskussionen, aber auch nicht sooo tiefgehende Gespräche, halt Männerthemen, humorvollen Wissensaustausch, Russisch-Lektionen in der Praxis, wobei du eindeutig der bessere und oft kaum mehr von einem Russen zu unterscheiden warst. „Spasiba“ René.

 

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